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Eine Expedition zum geografischen Nordpol - für viele ein Lebenstraum, für wenige Realität. In diesem ersten Teil ihres Reisetagebuchs nimmt Sie Kristina Hillemann mit auf die außergewöhnliche Route von Spitzbergen zum 90. Breitengrad Nord. An Bord der Le Commandant Charcot, dem modernsten Eisbrecher der Welt, erleben Sie die ersten Tage dieser einzigartigen Reise zwischen Wissenschaft, Abenteuer und unvergesslichen Naturmomenten.
Lange haben wir uns auf dieses Abenteuer gefreut. Obwohl wir alle reise- und expeditionserfahren sind, gehört diese Fahrt zu den ganz besonderen. Sie ist mehr als nur eine weitere Reise – sie ist ein lang gehegter Traum, der nun Wirklichkeit wird. Unser Ziel ist ehrgeizig: Mit der Le Commandant Charcot brechen wir auf zur Expedition zum geografischen Nordpol. Der Startpunkt könnte kaum geschichtsträchtiger sein – Longyearbyen auf Spitzbergen. Von hier aus stachen schon einige der großen Entdecker in Richtung Pol auf, darunter Roald Amundsen und Umberto Nobile, die 1926 mit dem Luftschiff Norge den Nordpol überflogen. Viele andere folgten ihnen, getrieben von Abenteuerlust, wissenschaftlichem Ehrgeiz oder schlicht dem Wunsch, die nördlichste Stelle unseres Planeten zu erreichen.
Vor uns liegt eine Route, die nur wenigen vorbehalten ist: hinein ins Packeis, bis dorthin, wo alle Längengrade zusammenlaufen. Wir wissen, dass uns eine der letzten großen, unberührten Regionen dieser Erde erwartet – eine Welt aus Eis, Stille und überwältigender Natur. Und auch wenn wir schon viele ferne Ziele gesehen haben, spüren wir diesmal eine besondere Mischung aus Vorfreude, Respekt und Neugier. Dieses Abenteuer wird anders.
Die Le Commandant Charcot ist nicht einfach nur ein Schiff – sie ist ein technisches Meisterwerk und das erste luxuriöse Expeditionsschiff der Welt, das die zweithöchste Eisklasse PC2 erreicht. Stärker sind nur die mächtigen russischen nuklearen Eisbrecher. Benannt nach dem französischen Polarforscher Jean-Baptiste Charcot, verbindet sie modernste Polartechnologie mit dem Komfort eines Fünf-Sterne-Hotels. Mit ihrem hybriden Antrieb aus Flüssigerdgas und Batterien ist sie eines der umweltfreundlichsten Schiffe ihrer Klasse. Dank ihrer außergewöhnlichen Eisbrecherfähigkeiten kann sie selbst mehrjähriges Packeis durchqueren – eine Voraussetzung, um den geografischen Nordpol sicher zu erreichen.
An Bord erwarten uns großzügige Kabinen und Suiten, Panoramalounges mit Rundumblick, ein Spa-Bereich, verschiedene Restaurants mit französisch geprägter Küche und modernste wissenschaftliche Labore. Denn Le Commandant Charcot ist nicht nur für Entdecker gebaut – sie unterstützt auch aktiv die internationale Polarforschung, indem Wissenschaftler an Bord Daten erheben, Eisproben entnehmen und Meeresmessungen durchführen.
Doch das vielleicht Größte an diesem Schiff ist, dass es uns leise und kraftvoll in eine Welt trägt, in der wenige je gewesen sind – eine Welt, in der Natur und Mensch sich noch auf Augenhöhe begegnen. Genau dorthin sind wir jetzt unterwegs.
Heute beginnt die erste Etappe unserer großen Nordpolexpedition. Am Nachmittag starten wir unseren Flug von Deutschland nach Paris, wo wir eine Nacht im Airport-Hotel Pullmann verbringen. Der Abend bleibt ruhig – ein kleines Abendessen, ein Blick auf die Lichter des Flughafens – und die Vorfreude steigt. Morgen geht es weiter in den hohen Norden.
Um 07:35 Uhr beginnt der Check In für unseren Charterflug mit Enterair. Um 07:15 machen wir uns auf den Weg zu Terminal 3. Der Fußweg dauert circa 5 Minuten und dann übernimmt wieder Ponant. Es ist, wie wir es bereits aus der Vergangenheit von Ponant kennen, bestens organisiert. Überall stehen Mitarbeiter von Ponant, helfen einem, geben einem Hinweise für den Check-In. Auch nach dem Check-In gibt es wie beim letzten Mal ein Frühstück für alle Gäste der Le Commandant Charcot. So kann der Urlaub beginnen. Kurze Zeit später geht es zu unserer polnischen Chartermaschine. Auch in diesem Jahr überrascht Enterair wieder mit seinem herzlichen Service. Die Sitzreihen in der Economy sind etwas enger, aber die Flugdauer ja auch überschaubar. In Einstimmung auf den Luxus-Eisbrecher bekommen wir bereits im Flieger Champagner und ein üppiges Menü. Home Sweet Home. So fühlt es sich jedenfalls an als wir landen. Für Svalbard schlägt mein Herz am meisten und wird es immer tun und so bin ich super happy, dass ich mit meinen Gästen noch ein wenig Svalbard erkunden darf, bevor es aufs Schiff geht. Nach der Landung geht das Gepäck direkt aufs Schiff und wir haben Zeit geführt das Svalbard Museum und die Stadt zu erkunden. Alles ist wieder sehr professionell organisiert und es geht weiter zum Schiff.
Die Einschiffung verläuft sehr professionell und reibungslos. Alle Koffer sind da und nachdem alle Ihre Kabine bezogen und geduscht haben, treffen wir uns auch schon zum ersten Welcome-Briefing auf Deck 5 im Theater.
Nach einer kurzen Seenotrettungsübung stellt sich der Kapitän Patrick Marchesseau vor. Alle sind jetzt schon begeistert von dem Humor und ich schwelge in Erinnerung an die letzte großartige Expedition mit ihm nach Nordaustlandet.
Zeit die französische Kulinarik kennenzulernen. Die Gruppe geht gemeinsam ins Nuna - Restaurant und erlebt den ersten zauberhaften Abend.
Danach geht es zur Parka-Anprobe. Alle sind von der Qualität des Parka begeistert. Wir drehen die ersten Runden an Deck und passieren den Adventsfjord. Am Horizont sehen wir Barentsburg, die russische Siedlung auf Spitzbergen. Nach den Runden auf Deck 5 und den ersten Seevögelsichtungen, treffen wir uns an meinem Lieblingsplatz. Der Observationlounge auf Deck 9.
Gemütlich sitzen wir zusammen, tauschen uns aus und beobachten die Mitternachtssonne. Zufrieden gehen alle ins Bett, doch plötzlich hören wir Rufe draußen bei offener Balkontür und stürmen raus. Buckelwale auf der Backbordseite. Ein paar Blas später sind Sie weg und wir fallen dankbar ins Bett. Gute Nacht von der Le Commandant Charcot.
Der Tag beginnt mit einer fast unwirklichen Stille. Die See liegt spiegelglatt unter einem zartgrauen Himmel, und als wir die Vorhänge zurückziehen, sind im Süden noch die letzten gezackten Silhouetten Spitzbergens zu erkennen – majestätisch, fast entrückt. Der Kontrast zum ruhigen Ozean könnte kaum stärker sein. Bald verschwinden die Berge im Dunst, und wir richten den Blick endgültig nach Norden – dem Nordpol entgegen.
Nach dem Frühstück versammeln wir uns im Theater zum obligatorischen AECO-Briefing. Auch wenn viele von uns die Regeln bereits kennen, ist der Vortrag mehr als nur Pflicht. Er ruft uns in Erinnerung, wie sensibel, unberührt und gleichzeitig schutzbedürftig diese Region ist. Humorvoll und mit nordischer Gelassenheit führt das Expeditionsteam durch die Inhalte – ein Team aus 19 hochqualifizierten Frauen und Männern, das sich im Anschluss persönlich vorstellt. Darunter auch die deutsche Meeresbiologin Rosalie, deren Leidenschaft für das arktische Leben sofort spürbar wird.
Dann betritt Kapitän Patrick Marchesseau die Bühne. Ich hatte bereits das Vergnügen schon öfter mit ihm zu fahren. Er gehört mit seinem Humor und seiner Expertise, aber vor allem seiner faszinierenden Leidenschaft für das Eis zu meinen absoluten Lieblingskapitänen. Unsere Gäste werden schnell merken warum. Mit ruhiger Stimme erläutert er Bauweise und Leistungsfähigkeit unseres Eisbrechers, erklärt die aktuellen Eiskarten und das geplante Routing. Er spricht über hypothetische Wege durch das Packeis, über Drift, Wind und mögliche Szenarien. Es ist ein seltener Einblick in die Komplexität arktischer Navigation – und wir spüren, wie ernst die Expedition genommen wird.
Noch bevor wir in den geplanten Freizeitmodus übergehen können, kommt die Durchsage: Blauwale an Steuerbord! Hektisch, aber voller Vorfreude, eilen wir an Deck. Dann tauchen sie auf – langsam, kraftvoll, gewaltig. Zwei Blauwale ziehen in stoischer Ruhe an uns vorbei, eine Szene von beinahe heiliger Erhabenheit. Ihr Blas ist unverkennbar: senkrecht, bis zu neun Meter hoch, wie ein leuchtender Wasserfächer gegen den dunklen Horizont.
Der Blauwal (Balaenoptera musculus) ist mit einer Länge von bis zu 30 Metern und einem Gewicht von bis zu 200 Tonnen das größte Tier, das jemals auf der Erde gelebt hat. Sein Körper ist langgestreckt, stromlinienförmig und von einer schimmernd blaugrauen Färbung geprägt, die im Sonnenlicht fast silbrig wirkt. Trotz seiner gewaltigen Dimensionen gleitet er erstaunlich anmutig durch die Ozeane – auch durch die kalten, nährstoffreichen Gewässer der Grönlandsee, wo er im Sommer auf Nahrungssuche geht.
Das Herz eines Blauwals erreicht das Gewicht eines Kleinwagens, seine Zunge so viel wie ein ausgewachsener Elefant. Bei jedem Atemzug stößt er bis zu 5.000 Liter Luft aus seinen beiden Blaslöchern, was eine bis zu zehn Meter hohe Fontäne erzeugt, die schon aus großer Entfernung sichtbar ist. Dieses charakteristische Blasbild macht es möglich, Blauwale auf hoher See zu identifizieren.
Sie ernähren sich fast ausschließlich von winzigem Krill. In der Hauptsaison verschlingen sie davon bis zu 40 Millionen Tiere am Tag, indem sie große Wassermengen aufnehmen und durch ihre Barten filtern. Trotz ihrer enormen Größe sind sie also auf die kleinsten Lebewesen im Meer angewiesen.
Blauwale erreichen ihre Geschlechtsreife mit etwa fünf bis fünfzehn Jahren. Die Paarung findet in wärmeren Gewässern statt, meist während der Wintermonate. Nach einer Tragzeit von rund elf Monaten bringt das Weibchen ein einzelnes Kalb zur Welt, das mit etwa sieben Metern Länge und bis zu drei Tonnen Gewicht bereits gewaltige Ausmaße hat. In den ersten Monaten wächst es rasant: Mit der fettreichen Milch der Mutter nimmt es täglich bis zu 90 Kilogramm zu, bis es nach sechs bis sieben Monaten stark genug ist, selbstständig zu jagen und den langen Wanderungen der Erwachsenen zu folgen.
Einst wurden Blauwale durch den industriellen Walfang fast ausgerottet, Hunderttausende Tiere fielen den Harpunen zum Opfer. Erst das internationale Walfangmoratorium stoppte diese Entwicklung, und langsam beginnen sich die Bestände zu erholen. Doch auch heute sind sie bedroht – durch Schiffsverkehr, Unterwasserlärm und den Klimawandel, der ihre Nahrungsgründe verändert. Einer dieser Giganten in freier Wildbahn zu sehen, gehört zu den eindrücklichsten Erlebnissen überhaupt und führt uns vor Augen, wie einzigartig und schützenswert das Leben in den Ozeanen ist.
Kaum haben wir uns von diesem Naturschauspiel erholt, folgt der nächste Programmpunkt: das Kajakbriefing. Zum Glück haben wir uns alle schon für diese Option angemeldet – jetzt tragen wir uns nur noch final in die Listen ein. Wann es genau losgeht, steht noch nicht fest, doch die Vorfreude ist greifbar.
Um 15:30 Uhr erreichen wir schließlich die Eiskante. Das Schiff schiebt sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit durch das Mosaik aus Schollen, Rinnen und gefrorener Weite. Mal ist die Eisdecke so dicht, dass wir glauben, sie mit den Händen greifen zu können – dann wieder öffnet sich freies Wasser. Bartrobben ruhen auf den Schollen, mit wachsamen Augen, aber scheinbar unbeeindruckt von unserer Anwesenheit. Ihre runden Gesichter, eingerahmt von kräftigen Schnurrhaaren, wirken fast kindlich. Es ist ein Anblick, der bleibt.
Lange stehen wir noch draußen, gebannt vom Schauspiel aus Eis, Wasser und Licht. Erst als die Kälte langsam durch die Kleidung kriecht, kehren wir in die Kabinen zurück, um uns für den Captain’ s Welcome vorzubereiten. Am Abend treffen wir uns zum gemeinsamen Dinner – voller Eindrücke, Gespräche und gespannter Erwartungen auf das, was noch vor uns liegt. Manche zieht es später ins Theater, andere spazieren schweigend über das Außendeck – begleitet vom Knacken des Eises unter dem Bug. Der Weg zum Nordpol hat begonnen.
Die Nacht im Packeis ist wie ein Wiegenlied. Sanft und rhythmisch ruckelt Le Commandant Charcot durch die arktische Welt, als wolle sie uns behutsam durch die Stille tragen. Wir schlafen tief, wie geborgen – das monotone Knirschen und Ächzen des Eises ein seltsames, aber beruhigendes Mantra.
Am Morgen wirkt die Szenerie fast mystisch. Nebelschwaden treiben zwischen den Eisschollen, tauchen die Welt in milchiges Licht. Wechselnd schiebt sich das Schiff durch freie Wasserflächen und dichte Eisfelder, dazwischen kreuzen vereinzelte Eismöwen unseren Weg – fliegende Boten in dieser kargen, fast lebensfeindlichen Weite. Wie sie hier überleben, bleibt ein kleines arktisches Wunder.
Nach einem kleinen Frühstück beginnt der Tag mit einem Lächeln: Stefan hat Geburtstag. Eine Eisbärenkarte, kleine Schokoladen-Eisbären aus Spitzbergen und ein Ständchen verschönern ihm den Start in diesen besonderen Tag. Danach ziehen wir wie gewohnt unsere Runden auf Deck 5 – frische Luft, Bewegung und ein weiter Blick auf das Eis.
Dann steht die Gummistiefelanprobe an. Alle Expeditionsteilnehmer werden aufgerufen, ihre passenden Modelle zu finden – sie gehören zur Standardausrüstung an Land, aber auch auf Eis. Erst wenn alle sicher und komfortabel in ihren Schuhen stehen, geht es weiter mit dem nächsten Schritt.
Es folgt die Biosecurity, ein zentraler Bestandteil jeder verantwortungsvollen Arktisreise. Unsere gesamte Outdoorausrüstung – von Mützen über Handschuhe bis zu Rucksäcken – wird genauestens untersucht und gereinigt. Ziel ist es, keine fremden Samen, Pollen oder Mikroorganismen in diese hochsensible Umwelt einzutragen. Jeder Klettverschluss, jede Tasche wird durchleuchtet – ein Akt der Achtsamkeit gegenüber der Natur, die wir betreten dürfen.
Danach folgt das Safety Immersion Suit Fitting: das Anprobieren der grell-orangefarbenen Überlebensanzüge, die nur im Notfall – etwa bei einer Evakuierung auf das Eis – zum Einsatz kämen. Natürlich nehmen wir das Ganze mit Humor. Schon bald tanzen und posieren wir in den dicken Anzügen – Teletubbies auf Expedition. Das Lachen hallt durch die Gänge.
Beim Mittagessen wollten wir es leicht angehen lassen, aber die Küche ist schlicht zu verführerisch. Der geplante Salat weicht einem vollwertigen Menü. Wer kann da schon widerstehen?
Am Nachmittag verteilen wir uns zwischen Aquajogging, Sauna und dem eiskalten Schneeraum – eine wohltuende Abwechslung. Danach ein Stopp an der Detox-Bar, dann heißt es: Polar Plunge Briefing. Wer mutig genug ist, wird bald ins eiskalte Nordpolarmeer springen. Wir sind zu zweit, die sich eintragen. Noch sind die Füße warm – mal sehen, ob wir es später wirklich wagen.
Doch dann, kurz vor dem Briefing, die Durchsage: Überraschung – die erste Zodiacfahrt im Eis startet um 16:00 Uhr! Unsere Gruppe ist die erste. Im Nebel, zwischen den treibenden Schollen, besteigen wir das Boot. Julien, unser Fahrer, stammt aus Siorapaluk in Nordgrönland. Ich, Kristina, kenne ihn von einer früheren Reise. Seine Verbindung zu den Inuit, seine leise, reflektierte Art und sein tiefes Wissen über das Eis machen jede Minute mit ihm besonders.
Wir gleiten über das tiefblaue Wasser, unter uns der Ozean – über 3.500 Meter tief – und um uns ein Labyrinth aus Schollen und Rinnen. Julien steuert das Zodiac behutsam auch auf kleinere Schollen, um uns die Strukturen, Farben und Formen aus nächster Nähe zu zeigen. Immer wieder verschwindet das Mutterschiff im Nebel – surreal und gleichzeitig beruhigend, denn alle Zodiacs bleiben in Funkverbindung, alle Boote wissen stets, wo sie sind.
Wissenschaftler an Bord hatten zuvor von Deck aus Spuren eines Eisbären auf einer nahegelegenen Scholle entdeckt – ein eindrückliches Zeichen, wie nah wir dem König der Arktis bereits sind. Kein Tier selbst zeigt sich heute, doch allein die frischen Abdrücke auf dem Eis lassen uns ehrfürchtig werden. Auf einer anderen Scholle stehen Forscher und bohren Probenkerne aus dem Eis, um Daten über Schmelzprozesse und Salzgehalt zu gewinnen. Wissenschaft zum Greifen nah – inmitten der Stille.
Nach dieser eindrucksvollen Fahrt treffen wir uns in der Observation Lounge, stoßen mit Tee oder Champagner an und lassen die Eindrücke sacken. Draußen verändert sich das Licht – es ist ein Tag voller stiller Sensationen.
Um 18:30 Uhr beginnt ein exklusiver Schiffsrundgang für unsere Gruppe mit dem Guest Experience Manager, der uns in die Details und Besonderheiten von Le Commandant Charcot einweiht – einem technischen Meisterwerk, das uns leise, aber kraftvoll durch diese Welt trägt.
Zum Abendessen feiern wir Stefans Geburtstag. Neben dem exzellenten Menü wartet eine Schokoladentorte auf ihn – doch das eigentliche Highlight ist die Überraschung der Crew: singend und mit einer zweiten Torte zieht sie ein, und bald singt der ganze Saal. Ein magischer Moment.
Im Anschluss an den ereignisreichen Tag treffen wir uns im Theater, wo der Film A Polar Adventure – Jean-Baptiste Charcot gezeigt wird. Er erzählt die Geschichte jenes Mannes, dessen Name heute stolz am Bug unseres Schiffes steht.
Jean-Baptiste Charcot (1867–1936) war der Sohn des berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot. Obwohl ihm ursprünglich eine medizinische Karriere vorherbestimmt war, zog es ihn hinaus auf das Meer. Sein Herz schlug für die Seefahrt und für die noch unerschlossenen Weiten der Polarregionen. Mit seinen Schiffen Français und später Pourquoi-Pas? leitete er zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutende Expeditionen in die Antarktis und nach Grönland.
Charcots Antrieb war dabei nie die bloße Eroberung oder der Wettstreit mit anderen Nationen, sondern die Suche nach Wissen. Er nahm Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen mit an Bord: Meteorologen, Kartografen, Biologen. Gemeinsam erforschten sie Klima, Gletscher, Meeresströmungen und Tierwelt. Charcot verstand die Polarforschung als Teamarbeit – geprägt von gegenseitigem Respekt und einem Geist der Zusammenarbeit.
Sein Führungsstil war ungewöhnlich für seine Zeit. Während andere Expeditionen oft von Härte und Rivalität bestimmt waren, setzte Charcot auf Fürsorge, Menschlichkeit und Disziplin ohne Härte. Er galt als akribisch in seiner Vorbereitung, als sorgfältig im Umgang mit Mensch und Material – und als jemand, der die Gefahren des Polarmeeres nicht unterschätzte. Diese Haltung brachte ihm den Beinamen „le gentleman des pôles“ ein.
Sein Lebenswerk wurde jäh beendet, als die Pourquoi-Pas? 1936 in einem Sturm vor Island sank. Jean-Baptiste Charcot starb gemeinsam mit den meisten seiner Männer. Doch sein Vermächtnis lebt fort: als Pionier, als Forscher und als Symbol dafür, dass Entdeckungen auch mit Anstand, Haltung und Menschlichkeit möglich sind. Dass unser Schiff seinen Namen trägt, ist nicht nur eine Hommage, sondern auch eine Verpflichtung, diese Werte in die Zukunft zu tragen.
Wir beenden den Tag, wie wir ihn begonnen haben: auf Deck 5, unter einem endlosen Himmel, über einer Welt aus Eis. Heute haben wir den 84. Breitengrad Nord überschritten. Jeder Blick nach vorn ist ein Schritt in eine Region, in der Grenzen verschwimmen – zwischen Wasser und Eis, Realität und Traum.
Der Morgen liegt wie in Watte gehüllt. Eine dichte, unbewegliche Nebeldecke schwebt über der endlosen Weite des Packeises, und Le Commandant Charcot schiebt sich unermüdlich Richtung Nordpol. Immer wieder ruckelt das Schiff sanft, wenn sich der Bug durch festgefrorene Schollen arbeitet – ein ständiges, beruhigendes Wiegen, das zum Rhythmus dieser hohen Breiten gehört. Die Geräusche sind einzigartig: ein leises Knacken, gefolgt von einem langen, metallischen Seufzen, wenn sich das Eis unter dem Gewicht des Schiffes fügt.
Am Mittag versammelt sich die Bordgemeinschaft auf Deck 5 zu einem besonderen Manöver. Kapitän Patrick Marchesseau demonstriert die außergewöhnlichen Fähigkeiten unseres Eisbrechers – und vor allem seine beiden Brücken. Zunächst fährt er das Schiff absichtlich im dichten Eis fest. Dann begibt er sich von der Hauptbrücke in die kleinere, gläserne Steuerstation am Bug. Von hier aus steuert er die Azipods – die drehbaren Propellergondeln – so präzise, dass sich das Schiff langsam rückwärts aus dem Packeis löst. Das Eis ächzt und quietscht, splittert und schiebt sich übereinander, während wir uns befreien. Fasziniert drängen sich die Gäste an der Reling, die Augen auf das Zusammenspiel von Stahl und Natur gerichtet. Es ist ein Schauspiel aus Technik, Erfahrung und der elementaren Kraft des Eises.
Der Nachmittag steht im Zeichen der Wissenschaft. Unsere deutschsprachige Expeditionsteilnehmerin Rosalie hält ihren Vortrag „Ice is nice“ – und erklärt, warum Meereis mehr ist als nur gefrorenes Wasser. In den oberen Schichten findet sich ein komplexes Netzwerk aus winzigen Kanälen, in denen salziges Wasser eingeschlossen ist. Je älter das Eis, desto mehr Salz wird durch Ausspülprozesse herausgewaschen – weshalb mehrjähriges Eis süßer und dichter ist als junges Eis. Es bildet sich, sobald die Wassertemperatur unter etwa −1,8 °C sinkt, denn erst dann reicht die Kälte aus, um den Gefrierpunkt des salzhaltigen Meerwassers zu unterschreiten.
Von 2019 bis 2020 driftete der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern eingefroren im arktischen Meereis und wurde zur Plattform für das größte Arktisforschungsprojekt aller Zeiten: die MOSAiC-Expedition. Über ein Jahr lang arbeiteten mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen unter extremen Bedingungen, um das komplexe System der Zentralarktis zu erforschen. Sie sammelten Daten zu Atmosphäre, Eis, Ozean und Ökosystemen – ein einzigartiger Datensatz, der bis heute ausgewertet wird.
Die Expedition brachte bahnbrechende Erkenntnisse über die Eisdrift: Das Packeis bewegt sich schneller als in früheren Jahrzehnten und bricht häufiger auf. Dadurch entstehen größere Rinnen, die wiederum den Wärmeaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre verstärken. Zugleich zeigte sich, dass die Meereisbedeckung in der Zentralarktis dünner und instabiler ist als bislang angenommen. Anstelle von mehrjährigem dickem Eis dominiert zunehmend eine einjährige Eisdecke, die leichter schmilzt und die Erwärmung beschleunigt.
MOSAiC gilt deshalb als Meilenstein, weil erstmals über einen gesamten Jahreszyklus hinweg so umfassend die Prozesse des arktischen Systems dokumentiert wurden. Die Daten verbessern Klimamodelle entscheidend und machen deutlich: Veränderungen in der Arktis wirken sich unmittelbar auf das globale Klima aus – mit Folgen für Wettersysteme, Meeresströmungen und Extremereignisse weltweit.
Am Nachmittag klart es auf. Endlich lässt der Nebel nach, und wir verbringen die Zeit draußen, um die Sicht auf das Eis zu genießen. Nach zwei Tagen ohne größere Tiersichtungen kreuzen nun Seevögel unseren Weg. Immer wieder finden wir frische Fußspuren eines Eisbären im Schnee, und einmal sehen wir eine Scholle mit einer kleinen Blutlache – ein stummes Zeichen, dass der König der Arktis hier ganz in der Nähe sein muss.
Am Abend dann eine spektakuläre Fahrt durchs Eis. Immer wieder bricht die Sonne durch die Wolkendecke, wirft goldenes Licht auf die weißblauen Schollen und taucht alles in eine fast unwirkliche Stimmung. Es ist einer dieser Momente, die sich tief ins Gedächtnis graben.
Nach dem Abendessen zieht es uns alle in die Observation Lounge auf Deck 9. Die GoPro läuft, Kameras sind bereit, und wir genießen den Blick über das Eis. Kurz bevor wir uns schlafen legen, ertönt plötzlich eine Durchsage:
"Wir haben in der Ferne einen Eisbären gesehen! Es ist etwas nebelig, aber wir drehen um und schauen, ob wir ihn finden. Kommen Sie alle raus und helfen Sie uns bei der Suche – mehr Augen sehen besser!"
Schnell ziehen wir uns wieder an und eilen auf Deck 5. Tatsächlich entdecken wir frische Spuren auf der Steuerbordseite. Sie wirken so neu, als wäre der Bär erst vor kurzem hier vorbeigezogen. Wir harren lange aus, wandern den Blick über die Eiskante, immer auf der Suche. Mehrmals finden wir weitere Spuren – doch vom Tier selbst keine Spur. Schließlich zieht der Nebel erneut auf, und wir geben die Suche auf.
Wir wissen: Die 88° Nord sind überschritten. Morgen, gegen 18:00 Uhr, sollen wir den geographischen Nordpol erreichen. Ein Gedanke, der elektrisiert. Mit diesem leisen Kribbeln im Bauch legen wir uns schlafen – während draußen das Schiff weiter unermüdlich durch das Eis bricht.
Die Nacht ist kurz, denn um 01:45 Uhr reißt uns eine Durchsage aus dem Schlaf: „Eisbärenmama mit Baby direkt vor dem Schiff!“ Wie von der Tarantel gestochen springen wir aus den Betten, schlüpfen in die bereitgelegten Kleidungsschichten und eilen auf Deck 5.
Nur 50 Meter vor dem Bug steht sie – eine kräftig gebaute Eisbärenmutter, an ihrer Seite ein flauschiges Jungtier, vermutlich im Dezember oder Winter 2024 geboren und erst seit dem Frühjahr aus der Höhle. Möglicherweise stammt sie von Franz-Josef-Land und wandert nun mit dem Packeis gen Norden – ein waghalsiges Unterfangen, wenn man nicht weiß, wie weit die nächsten Eisschollen voneinander entfernt sind.
Beide wirken wohlgenährt und gesund. Zweieinhalb Stunden lang erleben wir eine Szene, die an eine BBC-Dokumentation erinnert. Die Sonne bricht durch den Morgenhimmel, glitzert auf den Schollen, während die Mutter mit dem Kleinen direkt vor unserem Bug entlangläuft, elegant von einer Eisscholle zur nächsten springt, immer wieder den Kopf hebt und in unsere Richtung schnuppert. Zärtlich leckt sie den Schnee von den Lippen, blickt dann zurück, um zu prüfen, ob ihr Junges den Sprung geschafft hat. Es ist berührend zu sehen, wie sie stets vorangeht und doch nie den Blick nach hinten verliert – ein ständiger Balanceakt zwischen Führung und Fürsorge.
Schließlich entfernen sich beide vom Schiff. Das Junge trottet widerwillig hinterher, und wir kehren erfüllt und dankbar zurück in die Kabinen. Manche legen sich wieder schlafen, andere beginnen sofort, Speicherkarten zu sichten und Bilder zu bearbeiten, um beim Frühstück die ersten Aufnahmen in unserer WhatsApp-Gruppe zu teilen.
Während einige das Frühstück ausfallen lassen und noch etwas Schlaf nachholen, halten andere diszipliniert an ihrem Sportprogramm fest. Beim gemeinsamen Mittagessen lassen wir die Begegnung Revue passieren – ein Moment, der wohl für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Am Nachmittag kündigt sich die nächste Etappe der Reise an: Um 15:15 Uhr lädt Kapitän Patrick Marchesseau zu einem Vortrag über die Besonderheiten unseres Schiffes ein, gefolgt um 17:00 Uhr vom Briefing zur Ankunft am Nordpol. Die Postkarten sind bereits geschrieben – am Pol wird ein Briefkasten aufgestellt, in den wir Grüße an unsere Lieben daheim einwerfen können.
Um 18:16 Uhr ist es so weit: Wir erreichen den geographischen Nordpol. Ein Moment, der kaum in Worte zu fassen ist. Wir stehen auf der Brücke, neben uns ein Gast, Richard Eitel aus Seattle, der heute Geschichte schreibt: Mit 95 Jahren wird er als ältester Mensch am Nordpol ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen. Er steht auf der Brücke gemeinsam mit seiner Familie und dem Kapitän, und selbst dieser sonst so souveräne Mann scheint gerührt – wir sind uns sicher, ein kleines Tränchen in seinen Augen gesehen zu haben.
Dann beginnt die große Feier auf Helikopterdeck 6. Ein Gruppenfoto wird aufgenommen, danach darf jeder Einzelbilder mit dem Nordpolmarker machen. Plötzlich öffnet sich die Luke zum Helikopterhangar, Rauch steigt auf, und über eine Rampe rollt die Crew einen festlich gedeckten Buffettisch heran – Kaviar und Champagner für alle. Wir nehmen uns in den Arm, lachen, stoßen an – und bei einigen fließen leise Tränen.
Nach dem festlichen Teil wird es an Deck ruhiger. Einige von uns drehen noch eine Runde und stoßen dabei auf ein faszinierendes wissenschaftliches Experiment. Die amerikanischen Forscher Cecilia und John versuchen, Kontakt zu einem Messgerät aufzunehmen, das 2022 von der Le Commandant Charcot direkt am Nordpol in rund 4.000 Metern Tiefe ausgesetzt wurde. Dieses Instrument ist Teil einer Langzeitstudie, die die Veränderungen der arktischen Klanglandschaft – die sogenannte Arctic Marine Soundscape – dokumentiert.
Das Prinzip ist ebenso einfach wie genial: Das Gerät registriert Schallwellen unter Wasser – von natürlichen Geräuschen wie Eisbewegungen, Walgesängen und Meeresströmungen bis hin zu menschgemachten Klängen wie Schiffslärm oder Sonar. Heute lassen die Forscher ein Sende- und Empfangsgerät auf 1.000 Meter Tiefe herab. Es sendet akustische Signale aus, auf die der „Hydrophone-Logger“ am Meeresboden reagieren soll. Funktioniert die Verbindung, können sie überprüfen, ob die Datenübertragung über diese große Distanz gelingt.
Mit dem Rückgang des Meereises nimmt der Schiffsverkehr im Arktischen Ozean zu – und damit auch der Lärm. Dünneres und beweglicheres Eis erzeugt andere akustische Signaturen als dickes, mehrjähriges Eis. Manche Walarten, wie etwa die Grönlandwale, müssen ihre Gesänge anpassen, um in einer lauteren Unterwasserwelt überhaupt noch gehört zu werden.
All diese Veränderungen sind für die Wissenschaft wertvolle Indikatoren, wie schnell und tiefgreifend sich das Ökosystem Arktis wandelt. Während wir an der Reling stehen, erklärt uns einer der Forscher, dass man mit solchen akustischen Daten Entwicklungen oft Jahre früher erkennt, als sie mit bloßem Auge sichtbar werden.
Darüber hinaus ist das Projekt eingebunden in ein größeres Forschungsnetzwerk des Polar Science Center der University of Washington. Dort arbeiten Wissenschaftler mit sogenannten Arctic Bottom Pressure Recorders (ABPRs), die den Druck am Meeresboden messen. Diese Daten lassen sich mit Satellitenmessungen der GRACE-Mission vergleichen und liefern entscheidende Erkenntnisse über Strömungen und Veränderungen im Arktischen Ozean.
So entsteht ein einzigartiges Bild der Arktis – sichtbar und hörbar zugleich: von der Bewegung des Eises über die Stimmen der Wale bis zu den leisen Spuren, die der Mensch in dieser empfindlichen Welt hinterlässt. So endet unser Tag am Nordpol nicht nur mit einem emotionalen Höhepunkt, sondern auch mit einem Gefühl der Demut – vor der Größe dieser Welt und der Erkenntnis, dass selbst ihre leisesten Stimmen Geschichten erzählen, die gehört werden wollen.
Wie es am Nordpol weitergeht, lesen Sie in Kürze im 2. Teil von Kristina Hillemanns Nordpol-Reisetagebuch.
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