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Reisetagebuch: Expedition zum geographischen Nordpol mit dem Eisbrecher Le Commandant Charcot – Teil 2

Nach der historischen Ankunft am geografischen Nordpol nimmt Sie Kristina Hillemann im zweiten Teil ihres Reisetagebuchs mit zu den unvergesslichen Tagen auf dem Eis. Erleben Sie mit uns die ersten Schritte am 90° Nord, wissenschaftliche Forschung hautnah und eine einzigartige Eisbärenbegegnung. An Bord der Le Commandant Charcot entdecken wir die faszinierende Welt des Packeises - von mutigen Polar Plunges bis zu den letzten Momenten in dieser einzigartigen Polarregion.

11. August 2025 – Auf dem Eis am Nordpol

Der Morgen beginnt mit einem besonderen Gefühl: Wir liegen in unmittelbarer Nähe des geographischen Nordpols, festgemacht an einer mächtigen Eisscholle. Für viele an Bord ist es heute die allererste Anlandung auf solchem Terrain – und die Vorfreude ist greifbar. Unsere Gruppe ist um 09:30 Uhr an der Reihe.

Von der Gangway führt der Weg direkt hinunter aufs Eis. Schon bevor wir den Fuß auf die Scholle setzen, sehen wir die ersten Gäste, die sich am Nordpolmarker fotografieren lassen oder ihre Postkarten in den eigens aufgestellten Briefkasten werfen. Wir schließen uns an – und lassen unserer Kreativität freien Lauf. Ob klassisch am Marker, als lachende Schneeengel, im Schneidersitz mitten auf der Scholle, vor der stolzen Silhouette unseres Schiffes oder hinter dem Bug: Heute entstehen Bilder, die für uns immer mit diesem Ort verbunden bleiben werden. Anschließend schlendern wir über die von den Eisbärenwächtern abgesteckte Sicherheitszone. Die weiße Weite wirkt hier oben fast grenzenlos, und doch ist alles streng gesichert, denn in dieser Region kann jederzeit ein Eisbär auftauchen.

Unsere eigene Mini-MOSAiC-Expedition

Auf der gegenüberliegenden Seite der Scholle treffen wir auf die Wissenschaftlerinnen Laura vom Alfred-Wegener-Institut und Isa von der Universität Bremen. Sie sind dabei, eine Schneeboje zu positionieren, auf deren Box wir bereits gestern unterschrieben haben.

Diese Boje soll – hoffentlich über viele Monate hinweg – kontinuierlich Daten senden: zur Schnee- und Eisdicke, zu Temperaturen in unterschiedlichen Schichten, zu Schmelzprozessen und zur Drift des Eises. Ganz sicher ist das jedoch nicht. Immer wieder gehen Bojen frühzeitig verloren – weil das Eis bricht, weil sie von der Drift verschluckt werden oder weil technische Probleme auftreten. Umso wertvoller ist jede Messreihe, die Bestand hat.

Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) betreibt seit vielen Jahren ein Netzwerk solcher Messbojen. Sie sind ein Kernstück moderner Polarforschung, weil sie rund um die Uhr und in Regionen arbeiten, die für Schiffe oder Menschen kaum erreichbar sind. Jede Boje wird zu einem stillen Beobachter des Klimawandels und liefert Daten, die später in globale Modelle einfließen. So lassen sich etwa Vorhersagen zur Meereisbedeckung verbessern – eine entscheidende Grundlage, um das Verständnis für die Arktis als „Frühwarnsystem“ der Erde zu vertiefen.

Über den aufgedruckten QR-Code gelangen wir zu einem Link, unter dem die Werte öffentlich einsehbar sind: AWI - Meereisportal. Bei der Datenauswahl wählt man lediglich die Expedition Charcot 2025 aus. So können wir auch von zu Hause aus verfolgen, welche Geschichten „unsere“ Boje erzählt – und vielleicht begleiten wir damit ein Stück Forschung, das weit über unsere eigene Reise hinausgeht.

Ice-Relaxing auf der Scholle

Zwei aus unserer Gruppe entscheiden sich, am Ice-Relaxing teilzunehmen. Dick eingepackt setzen sie sich direkt auf die Scholle – ohne Rentierfelle, nur auf dem blanken, gefrorenen Untergrund. Später erzählen sie lachend, dass es doch ziemlich kalt gewesen sei, trotz aller Kleidung. Doch genau das macht den Moment besonders: das unmittelbare Spüren des Eises, das Knacken unter den Stiefeln, die kühle, klare Luft im Gesicht. Für eine Weile hören sie nichts außer dem leisen Wind, der über die weite Fläche zieht, und die tiefe Stille der Arktis, die fast greifbar wird.

Der Rest von uns kehrt nach und nach aufs Schiff zurück. Dort sichten wir Fotos und Videos, tauschen Eindrücke aus und merken, wie kostbar diese Erinnerungen sind. Später sitzen wir zusammen, hören die Erzählungen der beiden „Eis-Relaxer“ und lachen gemeinsam über ihre kalten Sitzgelegenheiten. Jeder von uns spürt, dass solche Momente verbinden – und dass wir dieses Erlebnis als Gruppe noch lange in Erinnerung behalten werden.

Nachmittag auf der Scholle

Nach dem Mittagessen bleibt zunächst viel Zeit zum Entspannen. Doch um 15:30 Uhr dürfen wir noch einmal aufs Eis. Heute stehen Schneeschuhlaufen und Skitouren auf dem Programm. Wer möchte, kann den Wissenschaftlern erneut über die Schulter schauen. Laura vom AWI erklärt, dass sie nun in regelmäßigen Abständen Bohrungen an unterschiedlichen Punkten der Scholle durchführen, um die Eisdicke zu messen. An unserer Position beträgt sie aktuell 2,38 Meter – deutlich dünner als auf der gegenüberliegenden Seite.

Immer wieder entdecken wir kleine Schmelzwasserseen, in denen das Oberflächeneis getaut ist – ein faszinierendes Farbspiel zwischen strahlendem Weiß, blassem Türkis und tiefem Blau. Die erste Kajakgruppe macht sich auf den Weg, während für alle Interessierten ein geführter „Guide Walk“ angeboten wird.

Mutprobe im Eis – unser Polar Plunge

Ein kleiner Teil unserer Gruppe, mich eingeschlossen, hat sich für den Polar Plunge angemeldet. Wir sind um 17:00 Uhr dran, und die Aufregung steigt mit jeder Minute. Im Badeanzug oder Bikini, eingehüllt in Bademantel und Parka, begeben wir uns auf das Expeditionsdeck 3. Das Warten macht es fast unerträglich – selbst für mich, die schon öfter gesprungen ist.

Dann ist es so weit. Gemeinsam laufen wir zur Polar-Plunge-Stelle, wo zwei Zelte bereitstehen. Die Crew ist bestens organisiert. Das Wasser hat eine Temperatur von −1,8 °C. Dass es bei dieser Temperatur noch nicht gefroren ist, liegt am Salzgehalt des Meerwassers: Während Süßwasser bereits bei 0 °C zu Eis wird, senkt das gelöste Salz den Gefrierpunkt – am Nordpol liegt er bei rund −1,8 °C, erst darunter beginnt das Meerwasser zu gefrieren.

Cyndi springt todesmutig als Erste, kopfüber und elegant wie eine Leistungsschwimmerin – Sekunden später ist sie wieder draußen. Dann bin ich an der Reihe. Weniger als eine Athletin, mehr wie jemand, der in eine eiskalte Badewanne plumpst, tauche ich unter. In dem Moment, in dem mein Kopf ins Wasser gleitet, breitet sich dieses einzigartige Gefühl aus: hellwach und gleichzeitig wie gelähmt. Ich schwimme zur Leiter, steige keuchend aufs Eis. Die Atmung muss sich erst beruhigen, doch sofort legt mir jemand von der Crew ein Handtuch um die Schultern und reicht mir einen heißen Kakao. Herrlich.

Wir nehmen uns lachend in den Arm und tanzen vor Freude zurück zum Schiff. Wir sind beim Nordpol baden gegangen! Jetzt heißt es: Sauna, Schwimmen im Pool und ein Detoxdrink.

Das Abendessen kürzen wir heute ab: Drei von uns gehen ins Buffetrestaurant, der Rest isst à la carte. Zum Abschluss treffen wir uns noch kurz in der Observation Lounge auf Deck 9, bevor wir müde, aber glücklich ins Bett sinken. Morgen steht das Gruppenbild auf einer neuen Eisscholle an – die heutige ist durch die Drift weiter ostwärts gezogen. Neues Eis, neues Glück – und wir freuen uns schon jetzt.

12. August 2025 – Gruppenfoto auf der Scholle

Früh am Morgen macht Le Commandant Charcot an einer neuen, großen Eisscholle fest – nur rund 1,5 Seemeilen vom geographischen Nordpol entfernt. Der Tag beginnt wie so oft mit der humorvollen Morgendurchsage von Kapitän Patrick Marchesseau. Wir lieben diese Momente: seine trockenen Kommentare, die uns zum Lachen bringen, und die kleinen Geschichten, die er einstreut. Heute erklärt er uns, dass sich die Scholle, an der wir liegen, in Richtung des Pols bewegt – und dass wir einfach abwarten, wohin sie uns treiben wird.

Kaum dürfen wir hinaus, zerstreuen sich die Gäste. Es werden Guided Walks angeboten, natürlich gibt es reichlich Gelegenheit für Fotos – und endlich steht unser lang geplantes Gruppenfoto an: Wir stellen uns in Form einer großen „90“ und dem Buchstaben „N“ für North auf, während der Fotograf von oben, vom Schiff aus, den Moment festhält.

Eisbohrungen am Pol – Spuren des Klimawandels

Danach spaziere ich zu Laura vom AWI. Fleißig bohrt sie weiter Löcher in die Scholle, jeweils im Abstand von zehn Metern, um die Dicke des Eises zu messen – sowohl den Freibord (der Teil über der Wasseroberfläche) als auch die Gesamtdicke. Ich darf ihr assistieren, und so unterhalten wir uns angeregt über die Veränderungen des Klimawandels, während wir Loch für Loch bohren. Die Werte variieren stark: von 3,40 Metern bis zu nur 1,65 Metern. Die dickste Scholle, die sie am Tag zuvor gemessen hat, lag sogar bei 13,25 Metern – entstanden durch sogenanntes Presseneis, also Stellen, an denen Wind und Strömung Eisschollen übereinander gedrückt und zu massiven Barrieren zusammengeschoben haben. Auch auf dieser Scholle stoßen wir immer wieder auf kleine Schmelzwasserseen – ein deutlich sichtbares Zeichen der Erwärmung. Selbst hier, nur wenige Hundert Meter vom Nordpol entfernt, ist der Klimawandel nicht zu übersehen. Gegen Mittag gehen wir kurz zurück an Bord zum Essen. Am Nachmittag können wir uns die Rettungszelte anschauen, die für Notfälle auf dem Eis bereitstehen – mit Schlafsäcken, Kochern und allem, was nötig wäre, um eine Gruppe im Ernstfall mehrere Tage zu versorgen.

Zu Fuß zum Nordpol – ein historischer Moment

Eigentlich soll es um 18:00 Uhr ein klassisches Recap geben. Doch dann ertönt wieder die Stimme des Kapitäns – und diesmal mit einer ganz besonderen Nachricht: Die Scholle, auf der wir heute stehen, ist den ganzen Tag über weitergedriftet. Nun liegt der geographische Nordpol nur rund 200 Meter entfernt – direkt auf unserer Scholle. Zu Fuß zum Nordpol – ein historischer Moment. Alle Gäste werden gruppenweise aufgerufen und versammeln sich auf der Backbordseite vor dem Schiff. Dort warten der Kapitän und seine Frau. Gemeinsam gehen sie voraus, der Kapitän mit seinem GPS-Tracker in der Hand, um die exakten Koordinaten zu finden. Die Scholle driftet, also heißt es, schnell zu sein.

Wir folgen ihm in kleinen Gruppen um das Schiff herum, bis auf die Steuerbordseite. Langsam nähern wir uns den 90 Grad Nord. Der Kapitän wird sofort von einer großen Menschentraube umringt – jeder will in diesem Moment dabei sein. Man möchte ihm fast Mitleid entgegenbringen, doch er bleibt unermüdlich. Er weiß: So etwas gab es noch nie – dass Gäste zu Fuß, auf einer driftenden Scholle, den geographischen Nordpol erreichen. Mit dem Schiff, ja, unzählige Male, aber zu Fuß? Noch nie – und schon gar nicht zweimal auf derselben Reise.

Plötzlich bleibt er stehen, schaut auf sein Garmin, und jubelt: „90 Grad Nord!“ Nur für wenige Sekunden, denn schon driftet die Scholle weiter. Die Jagd geht weiter – wie eine Schnitzeljagd auf dem Eis. Ein paar Meter weiter, wieder Richtung Schiff, tauchen die magischen Koordinaten erneut auf. Dann die Vermutung: Vielleicht ist jetzt das Schiff selbst auf exakt 90 Grad Nord? Also ziehen wir zurück zur Backbordseite – und tatsächlich: „Tataaa!“ – wieder 90 Grad Nord.

Die Drift ist beeindruckend – und unheimlich schnell. Zufrieden kehren wir auf das Schiff zurück, nur der Kapitän läuft weiter im Zickzackkurs, völlig begeistert von dieser besonderen Situation. Beim Abendessen ertönt plötzlich über die Lautsprecher „We Are the Champions“ von Queen – sein Humor in Reinform. Er verkündet lachend, dass wir nun mehrfach am Nordpol waren und wünscht uns anschließend einen guten Appetit. Nach dem Essen setzen wir unsere Fahrt durchs Eis fort. Der Abend klingt gemütlich in der Observation Lounge aus. Um Mitternacht gehen wir ins Bett – draußen ist es immer noch taghell. Auf den Schollen neben uns entdecken wir erneut frische Eisbärenspuren. Wer weiß, was uns morgen erwartet.

13. August 2025 – Zwischen Eis, Forschung und Faszination

Der Morgen verläuft heute gemächlich. Viele von uns schlafen länger und genießen ein spätes Frühstück in aller Ruhe. Draußen arbeitet sich Le Commandant Charcot langsam zwischen den Eisschollen hindurch. Mal biegt und windet sich das Schiff sanft, dann wieder gibt es einen lauten Rumms, wenn der Bug auf eine besonders dicke Scholle trifft. Manchmal neigt sich das Schiff dabei spürbar zur Seite, sodass Gläser im Restaurant in Bewegung geraten. Die Crew ist geübt – blitzschnell eilen sie zu den Tischen und sichern alles, bevor etwas zu Bruch gehen kann.

Um 11:00 Uhr steht für unsere deutschsprachige Gruppe ein besonderer Programmpunkt an: eine Führung im Bordlabor mit Laura vom AWI. Begrüßt werden wir vom Science Officer Matthieu, der uns auf Englisch die Rahmenbedingungen der Forschungsmission erklärt. Er berichtet, dass Ponant den Wissenschaftlern an Bord die Kabinen und die komplette Verpflegung kostenlos zur Verfügung stellt. Damit will die Reederei einen aktiven Beitrag zur Forschung leisten. Ponant engagiert sich stark im Bereich Wissenschaft und ist Mitglied bei POLARIN – einem internationalen Netzwerk für Polar- und Meeresforschung, das den Austausch von Daten, Ressourcen und Infrastruktur zwischen Forschungseinrichtungen erleichtert, um Projekte in den Polarregionen effizienter und nachhaltiger zu gestalten.

Mit dieser Einordnung übergibt Matthieu an Laura, die uns mit spürbarer Leidenschaft durch das Nasslabor führt. Hier steht unter anderem die FerryBox der Jena Engineering GmbH.

Die FerryBox

Die FerryBox ist ein automatisiertes Messsystem, das kontinuierlich Meerwasser analysiert, während das Schiff unterwegs ist. Dabei werden physikalische und chemische Parameter wie Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoffgehalt, pH-Wert und Trübung erfasst. Zudem können biologische Daten wie Chlorophyllkonzentrationen gemessen werden, die Rückschlüsse auf den Planktongehalt geben. Das Besondere: Diese Messungen erfolgen in Echtzeit und ohne manuelles Eingreifen, was eine lückenlose Datenerhebung auch in schwer zugänglichen Regionen ermöglicht.

Eiskerne – gefrorene Zeitkapseln

Laura nutzt den Moment, um uns ein Update zu unserer Schneeboje zu geben, die wir vor wenigen Tagen auf dem Eis positioniert haben. Über den Link, den wir erhalten haben, können wir ihre Daten live verfolgen – und tatsächlich ist sie inzwischen bereits direkt auf 90° Nord gewesen. Wir sind begeistert, Teil eines aktiven Forschungsprojekts zu sein, das noch lange nach unserer Rückkehr weiterläuft.

Im Nasslabor befindet sich außerdem ein großer Gefrierschrank, in dem die gestern gebohrten Eiskerne aufbewahrt werden. Diese Proben sind wahre Zeitkapseln – Schicht für Schicht konservieren sie Informationen über Temperatur, Salzgehalt, eingeschlossene Luftblasen und sogar Spuren von Vulkaneruptionen oder menschlicher Aktivität in der Atmosphäre.

Dabei kommt unweigerlich die Frage auf: Sind diese Eiskerne eigentlich salzig? Laura erklärt uns, dass das Salz beim Gefrieren des Meerwassers größtenteils aus dem Kristallgitter herausgedrückt wird. Es sammelt sich in winzigen Kanälen zwischen den Kristallen oder wird mit der Zeit ausgewaschen – deshalb schmeckt altes Packeis fast wie Süßwasser. Zum Spaß bietet sie uns an, die frisch entnommenen Proben zu kosten. Der ein oder andere wagt den Versuch – und stellt überrascht fest: Das Eis schmeckt tatsächlich nicht salzig. Ein kleines, anschauliches Experiment, das uns verdeutlicht, wie anders sich das Meereis im Lauf seiner Entstehung verändert.

Das SIMS – Sea Ice Measurement System

Vom Nasslabor aus erklärt uns Laura das SIMS (Sea Ice Measurement System), das am Bug des Schiffes angebracht ist. Es kombiniert elektromagnetische Messverfahren mit Ultraschallsensoren, um die Dicke des Meereises zu bestimmen – auch im Sommer, wenn traditionelle Methoden an ihre Grenzen stoßen. Die elektromagnetische Komponente erfasst die Distanz zwischen dem Sensor und der Wasseroberfläche unter dem Eis, während Ultraschall die Eisoberfläche abtastet. Aus der Differenz dieser Werte lässt sich die Eisdicke präzise berechnen. Dieses Verfahren liefert kontinuierlich Daten, während das Schiff fährt, und ermöglicht so ein einzigartiges, hochaufgelöstes Profil der Meereisdicke entlang der Route.

Nach dem Nasslabor wechseln wir ins Trockenlabor. Hier sehen wir die Auswertungen des SIMS: farbige Diagramme und Karten, die die Eisdicken in Metern entlang unserer Fahrtstrecke zeigen. Laura erläutert, wie stark diese Werte von Jahr zu Jahr variieren – beeinflusst durch Faktoren wie Eisdrift, Windmuster und Meeresströmungen. So kann es vorkommen, dass das Eis in einem Jahr vor Grönland zunimmt, während es bei Spitzbergen abnimmt – und im nächsten Jahr genau umgekehrt. Auch der Mittelatlantische Rücken, eine unterseeische Gebirgskette im Nordatlantik, beeinflusst die Strömungen und damit die Verteilung des Eises.

Wir merken, wie sehr Laura ihr Beruf erfüllt – und zugleich, wie sehr sie die Veränderungen durch den Klimawandel beschäftigen. Die Daten, die hier gesammelt werden, sind wertvoller denn je, um zu verstehen, wie sich die Arktis entwickelt.

Ein ruhiger Nachmittag – und das „Ice Trial“

Nach dem Mittagessen geht es heute entspannter zu. Einige von uns gehen zum Sport, andere probieren beim Waffeltasting süße Kreationen, besuchen einen Vortrag oder sitzen einfach in der Observation Lounge und genießen den Blick.

Um 16:00 Uhr wird es noch einmal spannend: Draußen startet das Ice Trial. Laura ist auf der Brücke, ebenso der Kapitän – beide hoffen auf besonders dicke Eisschollen.

Ice Trials sind spezielle Manöver, die Eisbrecher durchführen, um ihre Leistungsfähigkeit unter realen Bedingungen zu testen und gleichzeitig wissenschaftliche Daten zu sammeln. Für die Forschung bedeuten solche Versuche wertvolle Einblicke: Man kann feststellen, wie effizient sich das Schiff bei verschiedenen Eisdicken und -typen bewegt, wie viel Energie dafür benötigt wird und wie sich unterschiedliche Fahrtechniken auf Eisbruch und Schiffsstabilität auswirken. Solche Tests sind nicht nur für den Schiffsbetrieb wichtig, sondern helfen auch, die Eigenschaften des Eises selbst besser zu verstehen – etwa seine Festigkeit, Struktur und Reaktion auf mechanische Belastung. Andere Eisbrecher weltweit führen ebenfalls solche Tests durch, um ihre Kapazitäten zu dokumentieren und ihre Einsatzbereitschaft unter Extrembedingungen zu bestätigen.

Von der Lounge aus sehen wir, wie sich der Bug gezielt in eine massive Scholle schiebt, das Eis unter Krachen und Splittern bricht und das Schiff sich Stück für Stück vorarbeitet – ein beeindruckendes Zusammenspiel von Technik, Erfahrung und Naturkraft.

Am Abend freuen wir uns schon auf den Offiziersabend mit Laura und Isa – nach einem Tag voller Eindrücke, wissenschaftlicher Einblicke und arktischer Erlebnisse.

Hier ist dein vollständiger Tagesbericht für den 14.08.2025 – flüssig erzählt, in eigenen Worten formuliert und mit thematisch eingebundenen Robben-Porträts.

14.08.2025 – Letzter Seetag im Eis

Der heutige Morgen beginnt gemächlich. Die See ist ruhig, das Eis zieht in breiten Bahnen an uns vorbei, und uns allen ist bewusst, dass dies vermutlich unser letzter Tag tief im Packeis sein wird. Um 11:00 Uhr versammeln sich die Gäste im Theater, wo Expeditionsmitglied Rosalie einen eindrucksvollen Vortrag über das schmelzende Meereis und den Klimawandel in der Arktis hält. Meereis kommt in unterschiedlichen Formen vor: als einjähriges Eis, das innerhalb einer Saison gefriert und im Sommer wieder schmilzt, sowie als mehrjähriges Eis, das mehrere Schmelz- und Gefrierzyklen überdauert und dadurch deutlich dicker, fester und oft von einer bläulichen Färbung durchzogen ist. Mehrjähriges Eis ist widerstandsfähiger, aber es geht dramatisch zurück – ein klares Zeichen der Erwärmung.

Die berühmte MOSAiC-Expedition, die ein Jahr lang mit dem Forschungsschiff Polarstern im arktischen Eis driftete, sammelte zahlreiche Daten. Diese belegen, dass die Meereisausdehnung im Winter 2020 auf ein Rekordtief gefallen war. Besonders alarmierend: Selbst im Winter bildete sich weniger dickes, mehrjähriges Eis nach, als es in den Jahrzehnten zuvor der Fall war. Der Grund liegt nicht nur in steigenden Temperaturen, sondern auch in geänderten Wind- und Strömungsmustern, die das Eis schneller treiben und aufbrechen lassen.

Am Nachmittag folgt ein weiterer Vortrag – diesmal über die Robben, die wir auf unserer Reise bereits vereinzelt beobachten konnten. Die arktische Robbenwelt ist ebenso vielfältig wie faszinierend: Die Klappmützenrobbe fällt durch den ballonartigen Nasenwulst der Männchen auf und bringt ihre „Blueback“-Jungen auf dem Packeis zur Welt, die in nur wenigen Tagen rasant heranwachsen. Die Bartrobbe, größte Robbenart der Arktis, ist an ihren langen Schnurrhaaren zu erkennen und berühmt für ihre weittragenden Unterwasser-Gesänge. Die Sattelrobbe, auch Grönlandrobbe genannt, wandert tausende Kilometer und ist bekannt für ihre weißen Jungtiere, die „Whitecoats“. Die Ringelrobbe ist klein, aber perfekt ans Packeis angepasst: Mit kräftigen Krallen hält sie Atemlöcher offen und bildet Schneehöhlen für ihre Jungen – eine überlebenswichtige Strategie in der Polarnacht. Und schließlich das Walross, wahrer Gigant mit Stoßzähnen, die es nicht nur als Waffen, sondern auch als Werkzeuge nutzt, um sich auf Eisschollen zu hieven.

Fragiles Eis – Nachdenken am letzten Seetag

Nach diesen spannenden Einblicken verbringen wir den späten Nachmittag damit, noch einmal lange auf die endlosen Weiten aus Eis und Schnee zu schauen. Doch mittlerweile sind wir wieder bei 83° Nord angekommen und die offenen Wasserflächen zwischen den Schollen werden deutlich zahlreicher. Es ist beängstigend zu sehen, wie dünn das Eis hier ist – selbst wenn wir uns gerade kurz vor der Hochphase des jährlichen Schmelzpunktes befinden und in etwa zwei Wochen das Meereis wieder langsam zunimmt. Dieses Bild macht nachdenklich und verdeutlicht noch einmal, wie fragil dieses einzigartige Ökosystem geworden ist. Am Abend sitzen wir wieder gemeinsam mit Laura und Isa beim Essen, tauschen Erinnerungen aus und lassen den vermutlich letzten Seetag im Eis in nachdenklicher, aber auch dankbarer Stimmung ausklingen.

Ein Abschiedsgruß des „Meerbären“

Nach dem Abendessen zieht es viele von uns noch einmal hinaus auf Deck. Und tatsächlich: Vor unseren Augen steigt eine Eisbärin aus dem Wasser. Gebannt beobachten wir, wie sie sich genüsslich über das Eis rollt, ihr Fell trocknet, sich schüttelt und immer wieder die Pfoten in die Höhe streckt. Sie legt sich auf die Seite, entspannt und wirkt fast verspielt. Einige Gäste sind überrascht, wie schnell Ursus maritimus schwimmen kann – ein wahrer „Meerbär“. Ein intimer, stiller Moment, der uns tief bewegt – ein letztes Geschenk der Arktis, bevor wir Kurs zurück nach Süden nehmen. Mit diesem letzten, einmaligen Anblick verabschieden wir uns in die Kabinen. Ein stilles, dankbares „Gute Nacht“ von 83° Nord.

Im dritten und letzten Teil ihres Nordpol-Reisetagebuchs berichtet Kristina Hillemann von den letzten Tagen der Reise und ihren Erlebnissen auf Spitzbergen. Hier geht es zu Teil 1 des Reisetagebuchs.

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